#SMGZH63: Informationskrieg und soziale Medien – Einordnung und Faktencheck

#SMGZH63: Informationskrieg und soziale Medien – Einordnung und Faktencheck

Desinformation und Wahrheitsfindung: Dazu sprachen beim Social Media Gipfel zwei renommierte Experten. Wie soll man heute zwischen wahr und falsch unterscheiden? Ob im 2. Weltkrieg, im Kalten Krieg oder in der Ukraine – die Kriegsparteien versuch(t)en immer, die Deutungshoheit für ihr Handeln zu gewinnen.

 

Niklas Masuhr, Sicherheitsforscher beim Center for Securtiy Studies an der ETH in Zürich beobachtete die Manipulation der Informationen rund um die Ukraine und Russland bereits vor Kriegsbeginn, auch auf den Social Media-Kanälen. Wie sieht deren Rolle im Kriegsfall aus? Niklas Masuhr sagt dazu: «Die Methoden zur Desinformation haben sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht verändert. Doch mit den Social Media-Kanälen ist ein anderes, mächtiges Instrument aufgetaucht, dass die Kriegsparteien nutzen.»

  • Als Aggregator: Die Bürger und Journalisten haben Zugang zu einem grossen, unerschöpflichen Informations-Pool.
  • Zur Mythenbildung: Die Ukraine kreiert den «Geist von Kiew». Dieser beeinflusst das Bild der militärischen Lage und fördert – durch Algorithmen verstärkt – die westlichen Sympathien gegenüber der Ukraine.
  • Durch asymmetrische Datenlage: Während die Ukraine den Westen gezielt informiert, herrscht ein Ungleichgewicht zur Datenlage in Russland. Algorithmen verzerren das Bild des Krieges.

Wahrheit oder Lüge – hat der Inhalt Gehalt?

Der zweite Referent des 63. Social Media Gipfels, Forrest Rogers, ist Open Source Intelligence / Visual Investigations Reporter. Er verifiziert die Echtheit eines Ereignisses durch frei verfügbare Quellen. Exemplarisch vier Methoden, die er anwendet:

  • Flug-Tracking: Forrest Rogers greift auf frei verfügbare Flugdaten zurück und weisst nach, wann jemand in welchem Flugzeug abhebt oder landet. Steigt die Person (wie auf Social Media gemeldet) aus der vorausgesagten Maschine, ist die Information verifiziert.
  • Metadaten:  EXIF steht für Exchangeable Image File Format. Das bedeutet, dass hinter jedem Video und jedem Bild Metadaten stecken, die auf Ort und Zeitpunkt hinweisen. Diese Daten eines Fotos können analysiert werden und beispielsweise mit einer Webcam abgeglichen werden. Stimmen beide «Bilder» überein, kann man von der Echtheit des Materials ausgehen.
  • Videoüberwachung: Das Netz von Webcams ist selbst in der Ukraine dicht. Auf bestimmten Websites kann man die publizierten Inhalte abrufen. Rogers nutzt Webcams zur Verifizierung von Bildern oder Videos (siehe Punkt Metadaten). Dazu analysiert er den Hintergrund und steuert die aussagekräftigsten Webcams an. Stimmen die Metadaten mit den Kamerabildern überein, handelt es sich um eine echte Aufnahme.
  • Geolokalisierung: Bei dieser Methode nutzt Rogers Google Maps oder andere Dienstleister (MaxarYandex), um Fotos zuzuordnen. Oftmals reicht ein markanter Hintergrund, um den Standort zu ermitteln. Stimmen die Hintergründe des Fotos und von Google Street View überein, stimmt das Bild/Video mit grosser Wahrscheinlichkeit.

Um die Hinweise auf die Korrektheit einer Botschaft zu ermitteln, nutzt Rogers alle Methoden kombiniert. «Ich kenne die Strassen von Mariupol bestens – einzig durch den Einsatz von Google Street View», sagt er. So häufig habe er schon die Kriegsberichterstattung aus der ukrainischen Hafenstadt nach der «Wahrheit» durchforstet.

Was nehmen wir mit? Die Kriegsnarrative entstehen schon weit vor dem eigentlichen Krieg. Beide Kriegsparteien versuchen, mit Propaganda die Deutungshoheit zu gewinnen. In einer Welt, in der nicht mehr sicher ist, ob ein Tweet oder anderer Social-Media-Beitrag echt oder fake ist, hilft nur die Recherche und Verifizierung des einzelnen Beitrags. Aber Factchecking und Einordnung dauert – während sich bereits weitere Informationen hochgeladen und verbreitet werden.

Interessiert zum Nachschauen?
Der Stream ist auf der Facebook-Seite des Social Media Gipfels aufrufbar. 

 

 

Video des 63. Gipfels von Kameramann.ch:

Der Anlass wurde möglich dank dem Engagement von Bernet Relations und Previon Plus.